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Gründonnerstag

Fast jeder hat ein Bild vom letzten gemeinsamen Essen, das Jesus mit seinen Jüngern einnahm. Die erfolgreichste und bildprägendste Darstellung stammt von Leonardo da Vinci (1452 – 1519), der als zweiundvierzigjähriger Künstler zwei Jahre daran gearbeitet. Genannt wurde das Bild damals: Cenacolo, was so viel bedeutet, wie: Das Abendessen miteinander pflegen.

 

Wir kennen diese Szene unter dem Begriff ‚Das Letzte Abendmahl‘. Im Laufe der Kirchengeschichte hat es sich herausgebildet, dass Menschen (meist) Sonntagsvormittags zum Abendmahl zusammen kommen.

 

Es ist ein wichtiger Moment im Leben der Gemeinde. Noch vor wenigen Jahren waren Taufe und Konfirmation die Voraussetzung, am Abendmahl teilnehmen zu dürfen. Das hat sich verändert.

 

Was sich kaum verändert hat, ist das Allgemeinwissen um das letzte Abendmahl. Doch so, wie es sich Leonardo da Vinci vorgestellt hat, kann es historisch nicht gewesen sein. Die vier Berichte des neuen Testamentes helfen hier, historisch Aufklärung suchend, nicht weiter. Sie bilden kein einheitliches Bild von diesen Stunden Jesu mit seinen Jüngern (wie Luther den griechischen Begriff für Schüler übersetzt).

 

Aber, werden Sie jetzt gleich einwenden, wir kennen und hören doch die Einsetzungsworte bei jedem Abendmahl im Gottesdienst. Sie sind uns doch so vertraut, dass wir nie auf die Idee gekommen wären, dass dieser Abend so nicht stattgefunden haben kann, wie gedacht.

 

Wir, die wir Theologie studierten, haben dies in allen Einzelheiten erforschen müssen, um unseren Gemeindemitgliedern die Ergebnisse theologischen Wissens weiter zu geben. Dies ist unserer Aufgabe. Gleichwohl haben sich viele theologische Einsichten nicht zum Allgemeinwissen weiter entwickelt. Das mag viele Gründe haben, die ich hier aber nicht vertiefen möchte.

 

Die Aussage, dass es das „Letzte Abendmahl“ in der üblicherweise dargestellten Form historisch nicht gegeben hat, wird manche irritieren, doch wird diese Irritation bei weiterer Beschäftigung mit Jesus nicht das letzte Wort sein und, so meine Absicht, uns näher zu dem führen, was Jesus und sein Handeln für uns bedeuten kann.

 

Vor vielen Jahren sah ich einmal eine Holzfigur von Tillmann Riemenschneider vor und nach der Restauration. Vor der Restauration, die das Ziel hatte, den Ursprungszustand der Holzfigur wieder herzustellen, war sie farbenfroh leuchtend, regelrecht bunt und schön anzusehen. Nach der Restaurierung, in welcher man eine Farbschicht nach der anderen abgetragen hatte, kam eine beeindruckend anmutige, schlichte, regelrecht bescheiden wirkende Holzfigur zu Tage, deren Ausstrahlung die Blicke des Betrachters auf sich zieht.

 

Unserer Aufgabe als Theologen ist es, die „Farbschichten“, die im Laufe der vielen Jahrhunderte über den Lebensweg Jesu gemalt worden sind, abzutragen, um so viel wie möglich von Jesus, wie er damals lebte, zeigen zu können. Doch gelten unser Interesse und unser Auftrag nicht nur dem historischen Jesus, sondern auch der Deutung seines Verhaltens anderen gegenüber.

 

Anders ausgedrückt, wie erfuhren die Menschen damals durch Jesus von Gott?

 

Sie erfuhren es, und auch das ist für manche heute eine Überraschung, wenig bis kaum durch eine Lehre, die Jesus verbreitete, sondern durch sein Handeln, womit wir wieder beim „Abendmahl“ sind.

 

Alle vier Berichte über den Lebensweg Jesu erzählen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, dass Jesus Essensgemeinschaft mit anderen Menschen hielt. Er, und die Männer (Jünger) und die Frauen, die ihn begleiteten waren gastfreundlich, und nahmen Gastfreundschaft an.

 

Jesus speiste und trank eben nicht nur mit Freunden, mit Menschen, die irgendwie gut waren und dazugehörten. Er teilte sein Brot mit Menschen, die es nicht gut hatten, die am Rande der Gesellschaft waren, Menschen, die ausgeschlossen waren, miteinander satt zu werden.

 

Das Brot, das diese Menschen miteinander teilten, war (historisch betrachtet), das Hauptnahrungsmittel der damaligen Zeit. Symbolisch betrachtet, steht Brot, damals wie heute, für all das, was ein Mensch zum Leben braucht!

 

Die Geschichte, die an „Gründonnerstag“ erzählt wird, stellt daher die Frage:

 

Was brauche ich, um satt zu werden; was macht mich – über das tägliche Brot hinaus - wirklich satt?

 

Leonardo da Vinci hat für sich eine Antwort gefunden und gemalt: Cenacolo, miteinander essen.

 

Das klingt so einfach. Doch solange noch Menschen an Hunger leiden und andere, die zwar keinen Hunger haben, aber noch nicht gefunden haben, wie sie satt werden können, solange haben wir eine Aufgabe.

 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Gründonnerstag spüren, wie es ist, satt zu sein, im Sinne Jesu.

 

Manfred Werner, Pfarrer der Michaelsgemeinde in Darmstadt


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