Menu
Menü
X

Unsichtbar

Was waren das noch für Zeiten, als der Teufel rot war und nach Schwefel stank, als er noch Hörner trug und mit einem Pferdefuß humpelte. Was waren das noch für Zeiten, als er uns auch sichtbar außerhalb des Kasperletheaters begegnete; in der Kunst, in der Malerei und auch im Fasching. Nie konnte er sich verstecken: Der Teufel war immer sichtbar.

Was waren das noch für Zeiten, als (fast) niemand den Ort Tschernobyl kannte und alle die gute, warme, lichte Zeit im Freien genossen. Es war ein Tag wie heute, freundlich, sonnig. Die Osterferien lagen hinter uns. Man traf sich im Garten. Zum Wochenende kamen die beunruhigenden Meldungen. Das, was nicht möglich war (so jedenfalls erzählte man es uns bis dahin), war geschehen: Ein Atomreaktor geriet außer Kontrolle.

Im Nachhinein erst erfuhren wir (zumindest) einen Teil der Wahrheit. Insgesamt mussten knapp 400.000 Menschen evakuiert werden, das Gebiet um Tschernobyl ist bis heute Sperrgebiet, die Ortschaften und Städte sind Geisterstädte geworden.

In Deutschland-West wurden in großen Mengen Milchprodukte und Gemüse vernichtet. Über die Anzahl der Toten, die durch diese Atomreaktorkatastrophe verursacht wurden, streiten sich bis heute „die Gelehrten“.

Unstrittig sind die psychosozialen Auswirkungen auf den Menschen. Besonders große Angst hatten die Schwangeren. Die Atomkraft wurde – trotz Tschernobyl – weiter ausgebaut. Erst die Katastrophe in Fukushima brachte ein Umdenken mit sich. Der Teufel war damals unsichtbar. Heute zeigt er sich uns ähnlich.

Auch heute wird uns versprochen, dass es nach dieser „teuflischen Zeit“ so weiter ginge wie vorher. Jesus traf einmal auf den Teufel. So erzählt es eine alte Geschichte. Der Teufel verspricht ihm alles. Jesus glaubt ihm kein Wort. Er weiß, der Teufel ist doch letztlich nur hinter seiner Seele her.

Was bleiben wird, auch nach dieser verrückten Zeit, das ist die zutiefst menschliche Erfahrung, was wichtig ist: Freundschaft, Liebe und Unterstützung. Was bleiben sollte, ist auch die Einsicht, dass nicht alles beherrschbar ist.

Gut, sich in dieser Zeit Gott nahe zu fühlen, dann hat der Teufel keine Macht über uns.

Pfarrer Manfred Werner, 26. April 2020, Jahrestag von Tschernobyl


top