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Karfreitag

Es ist mir nie leicht gefallen, an Karfreitag zu predigen.

Zu verstörend sind für mich die Bilder und Berichte über die Hinrichtung Jesu.

Auch habe ich immer wieder Aussagen und Predigten gehört, dass diese Todesstrafe einen Sinn ergäbe.

Sicher berühren mich Kunstwerke und Musik zur Passion, doch letztlich kann ich mich nur dem Künstler Joseph Beuys anschließen, der, als man ihn bat, ein Kruzifix zu gestalten, das Angebot mit der Begründung ablehnte, er sei diesem Thema der Hinrichtung Jesu nicht gewachsen.

Diese Bescheidenheit kann ich leider nicht leben, denn Sie, lieber Leser, liebe Leserin, erwarten zurecht, dass ich als Theologe und Pfarrer Ihnen sage, was ich zu Karfreitag zu sagen habe. Schweigen ist mir da nicht erlaubt und, das zur Vollständigkeit, auch Beuys hat nach vielen Jahren der Beschäftigung mit der Hinrichtung Jesu ein Kruzifix entworfen.

Die Bilder, die uns zu Karfreitag prägen, stammen alle aus einer anderen Zeit. Das bekannteste Motiv, Jesus am Kreuz, entstand vor ca. 800 Jahren, und findet sich heute immer noch in vielen Kirchen.

Die Zeiten sind andere. Unsere Welt ist eine andere. Daher müssen wir auch heute anders von Karfreitag sprechen als damals vor 800, vor 1200, vor 1900 Jahren.

Doch zuerst zu den Irritationen. Mich irritiert, dass bis heute davon gesprochen wird, dass Jesus den schlimmsten Tod erlitten habe, den es gäbe. Wenn man überhaupt die Qualen, die ein Mensch bei seiner Hinrichtung erleiden kann, vergleicht, dann hat Jesus nicht den schlimmsten aller Tode erlitten. Schon sein Mitstreiter Petrus wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Schon vor und nach der Hinrichtung der Beiden wurden Menschen auf bestialische Weise in den Tod gefoltert und werden es sicherlich auch in diesem Moment, in dem Sie diese Worte hier lesen. Und sicher werden auch genau jetzt Kinder, die ihr Leben noch vor sich haben sollten, misshandelt, in den Hunger getrieben und umgebracht. Kriege werden auch an Karfreitag nicht unterbrochen.

Jesu Tod war so sinnlos, wie es jedes Gewaltverbrechen ist. In diesem Tod liegt kein Heil. Er ist nicht für uns gestorben.

Jesus hat sich keinen Gott vorgestellt, der einen Menschen opfert, um seinen, Gottes Zorn, zu besänftigen. Jesus erlebte Gott, wie man einen gütigen Mitmenschen erlebt, wie der Vater, der seinen verlorenen Sohn wieder aufnimmt, wie einen Menschen, der zu einem Fremden barmherzig ist. So hat Jesus Gott erlebt.

Im Laufe der Kirchen- und Theologiegeschichte entwickelte sich eine Deutung des Gewaltverbrechens an Jesus, die Jesus fremd war. Die auch mir fremd bleibt. Der Gott der Liebe mordet nicht.

Menschen morden. Das wusste schon der unbekannte Verfasser der 10 Gebote, indem er allen Gläubigen aufträgt: Du sollst nicht töten! Und Jesus hat sein ganzes Leben versucht zu leben, wie ein Mensch lebt, der voller Liebe für andere ist. Er ist dadurch für viele zum Vorbild geworden.

Das Vorbild Jesu ist das entscheidende, nicht die Bilder die nach ihm entstanden und die in der jeweiligen Zeit ihre Richtigkeit hatten.

Es war völlig angemessen in einer Zeit, als man glaubte, Gott durch Tieropfer besänftigen zu können, zu sagen, mit Jesus hat Gott sein letztes Opfer bekommen, jetzt braucht er keines mehr. Denn damals wurden zeitgleich mit der Hinrichtung Jesu Tiere im Tempel geschlachtet, weil man glaubte, Gott damit zu besänftigen.

Doch was damals eine angemessene Weise war Jesu Botschaft zu erklären, ist heute nicht mehr verstehbar.

Auch wenn es jahrhundertelang Menschen gewiss war, dass die Erde eine Scheibe und im Mittelpunkt des Sonnensystem steht, so wissen wir es heute anders. Dieses Vormodere Weltbild erklärt uns nichts mehr, es gibt uns eine keine Sicherheit mehr, in unserem Denken und Handeln.

Jesus wusste, und wir wissen es auch, es gibt keinen Gott, dem man Opfer bringen muss. Jesus nahm sein Wissen von dem Propheten Hosea:  „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer (Hosea 6,6)!“ Jesus lebte dieses Wissen. Seine Begegnungen mit Menschen sind beeindruckend und werden bis heute erzählt. Auch an Karfreitag.

Dieser Tag heute, der Tag der sinnlosen Opfer von Gewaltverbrechen, schreit in die Welt, dass wir noch viel vor uns haben. Im Sinne Jesu liegt die Aufgabe vor uns, Frieden zu stiften. Diesen Frieden und diese Barmherzigkeit wünsche ich Ihnen in jeder Begegnung, besonders mit Christen, denen, die im Geiste Jesu ihre kleine und große Welt verändern möchten.


Manfred Werner, Pfarrer der Michaelsgemeinde in Darmstadt


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